Die traditionelle Arzneimittelenentwicklung stützte sich viele Jahre lang stark auf die Pharmakologie an Nagetieren. Der translationale Wert von Nagetiermodellen ist jedoch oft fraglich, wie klinische Misserfolge von Wirkstoffkandidaten trotz überzeugender Wirksamkeit in Nagern zeigen. Die Gesamtzahl der in Tierversuchen eingesetzten Nager ist rückläufig. Nach Angaben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft wurden im Jahr 2019 1,64 Mio. Nagetiere für wissenschaftliche Zwecke eingesetzt, während es im Jahr 2009 noch fast 2,4 Mio. waren. Das entspricht einem Rückgang von mehr als 30 %. Diese Entwicklung spiegelt den dringenden Bedarf einer Neubewertung der translationalen Strategien wider, um die klinische Wirksamkeit zu erhöhen.

Alzheimer-Krankheit

Zweihundertfünf Nagetiermodelle der Alzheimer-Krankheit (AD) sind derzeit (März 2021) auf alzforum.org gelistet. Kennzeichen der Krankheit sind die Akkumulation von Aß-Plaques und die Bildung von Neurofibrillen durch Hyperphosphorylierung von Tau, dem wichtigsten Mikrotubuli-assoziierten Protein. Zahlreiche genetische Modelle in Nagern sind entlang dieser beiden Wege entwickelt worden, und die Behandlung mit Kandidatensubstanzen war bei wichtigen Messungen wie dem räumlichen Lernen und Gedächtnis wirksam. Die bekannten Gene, die mit der familiären AD assoziiert sind (APP, PS1, PS2), die in vielen mausgenetischen Konstellationen verwendet werden, scheinen jedoch nicht die ganze Geschichte zu erzählen, insbesondere nicht für die häufigste Form der spät auftretenden AD. Pistollato et al. 2020 und viele andere haben mögliche Gründe für das Scheitern klinischer Studien und Strategien zur Verbesserung diskutiert. Die Systembiologie hat begonnen, ein breiteres Bild von AD zu zeichnen, indem die potenziellen Wege, die an der Pathologie beteiligt sind, ganzheitlich beschrieben werden können und die Komplexität der menschlichen Krankheit besser darstellen. Rayaprolu et al. 2021 berichten über die Anwendung von netzwerkbasierter Proteom-Analyse zur Identifizierung neuartiger Signalwege bei AD. Während die Amyloid- und Tau-basierte Genetik der AD die zugrundeliegende Pathologie möglicherweise nur teilweise beschreibt und komplexere Interaktionen berücksichtigt werden müssen, könnte diese Komplexität auch durch Tiermodelle widergespiegelt werden, die der menschlichen Situation näherkommen als genetisch veränderte Mausstämme. Vikartovska et al. 2021 beschreiben alternde Hunde als potenzielles Modell für die AD-Pathologie. Wie die menschliche Bevölkerung werden auch Hunde in den letzten Jahrzehnten immer älter, was u. a. auf die verbesserte Pflege durch die Besitzer, eine verbesserte Ernährung und Verbesserungen in der Tiermedizin zurückzuführen ist. Das Konzept der alternden Haustiere ist in der Diskussion um AD nicht neu, aber es wurden nur wenige Studien an diesen Tieren durchgeführt, verglichen mit der übergroßen Anzahl von Studien an Nagern. Schließlich werden zunehmend iPSC-basierte Konzepte für AD und andere ZNS-Indikationen verfügbar. Qian and TCW 2021 gaben kürzlich einen Überblick über den Stand der Technik, der sich vorerst auf die bekannte Amyloid- und Tau-basierte Genetik konzentriert und die Entwicklung der Mausgenetik widerspiegelt. Nichtsdestotrotz schreitet die Technologie voran und gibt uns Werkzeuge für die Arzneimittelentwicklung an die Hand, um Kandidaten in 2D- oder 3D-Organoid-Präparaten zu bewerten.

Schlussfolgerungen

Nagetiere werden ein wichtiger Faktor bleiben, um unser Wissen über das ZNS zu erweitern. Die Vielzahl der klinischen Misserfolge bei ZNS-Indikationen wie AD erfordern jedoch einen ausgefeilteren translationalen Ansatz. Die Bewertung der Krankheitskomplexität auf einer höheren Ebene in Kombination mit alternativen, sich spontan entwickelnden Krankheitsmodellen in Haustieren und die Umsetzung der daraus resultierenden Erkenntnisse in „druggable“ in-vitro-Ansätze, die auf humanen zellulären Assays basieren, sollten helfen den translationalen Wert von präklinischen Studien verbessern.

© Thomas Christoph